Kategorien
Winona

Neue „Faszination“ 01

Jahrelang konnte ich mit Gedichten nichts anfangen. Eigentlich faszinieren mich sogar heute noch nur die wenigsten. Dank meinem sehr ambitionierten Deutschlehrer, der mir in den letzten drei Jahren meiner Schulzeit sein Fach näher brachte, verstehe ich jetzt zumindest einige dieser gereimten Zeilen (wenn nicht, kann ich zumindest so tun, als ob) und habe Emotionen in mir entdeckt, die vorher nie da waren. Ich, als sehr kritische Gedichtleserin und Nichtversteherin dieser Faszination werde nun eine neue Rubrik beginnen, in der ich einige schöne Gedichte mit euch teile und wer weiss, vielleicht sind auch einmal eigene dabei, oder welche, die dir auch gefallen.

Am Turme
Ich steh‘ auf hohem Balkone am Turm, 
Umstrichen vom schreienden Stare, 
Und lass‘ gleich einer Mänade den Sturm 
Mir wühlen im flatternden Haare; 
O wilder Geselle, o toller Fant, 
Ich möchte dich kräftig umschlingen, 
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand 
Auf Tod und Leben dann ringen!

Und drunten seh‘ ich am Strand, so frisch 
Wie spielende Doggen, die Wellen 
Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch 
Und glänzende Flocken schnellen. 
O, springen möcht‘ ich hinein alsbald, 
Recht in die tobende Meute, 
Und jagen durch den korallenen Wald 
Das Walroß, die lustige Beute!

Und drüben seh‘ ich ein Wimpel wehn 
So keck wie ein Standarte, 
Seh‘ auf und nieder den Kiel sich drehn 
Von meiner luftigen Warte; 
O, sitzen möcht‘ ich im kämpfenden Schiff, 
Das Steuerruder ergreifen 
Und zischend über das brandende Riff 
Wie eine Seemöve streifen.

Wär‘ ich ein Jäger auf freier Flur, 
Ein Stück nur von einem Soldaten, 
Wär‘ ich ein Mann doch mindestens nur, 
So würde der Himmel mir raten; 
Nun muß ich sitzen so fein und klar, 
Gleich einem artigen Kinde, 
Und darf nur heimlich lösen mein Haar 
Und lassen es flattern im Winde!
Annette von Droste-Hülshoff (1842)

Analysieren kann ich es leider nicht für dich. Vielleicht hat es trotzdem etwas in dir bewegt oder erweckt, sonst ist es aber auch nicht schlimm. Du hattest zumindest wenigstens etwas Bildung am heutigen Tage ;-).
Ich finde die Bilder schön, die das Gedicht vor meinem inneren Auge bildete. Auch wenn es im Kern eine eher traurige Stimmung transportiert, stell ich mir die Aussicht, die diese Frau hat, sehr imposant vor. Wirklich schön ist es aber wahrscheinlich wirklich nur, wenn man frei ist und nicht gefangen in den Gesetzen der Gesellschaft.
Winona

Eine Antwort auf „Neue „Faszination“ 01“

Hallo Wiona,
um Anette von Droste-Hülshof zu verstehen muss man etwas über sie wissen:
Geboren wurde sie auf Burg Hülshof im Münsterland. Besonders im Herbst / Winter eine düstere, nebligen Region.
Nach dem Tod des Vaters zog sie mit Mutter, Schwester und Bruder nach Haus Rüschhaus um. Später lebte sie dort alleine. Sie konnte weder wie ihr Bruder in die Ferne ziehen, noch heiraten wie ihre Schwester – weil sie krank war.
Haus Rüschhaus lag sehr abgelegen und konnte wg. Der Strassenverhältnisse lange Zeit im Jahr nicht besucht werden.
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in Meersburg. Dort wohnte sie allerdings nicht auf der Burg bei ihrer Schwester, sondern im Fürstenhäusle oben auf einem Weinberg.
Ihr Sterbezimmer ist allerdings in der Burg.
Ich wünsche dir einen schönen Abend.
Liebe Grüße 😘
Monika

Kommentar verfassen